Tiere

Konzentrationslager Westerbork, 1942Tiere
Ich wäre gern ein Tier,
denn Mensch sein ist ne Qual.
So oft ist da nur schöner Schein
und trügt uns Mal um Mal.

Ganz offen geb ich’s zu:
Ich wäre gern ein Tier.
Dann bräuchte ich nicht singen
zu andrer Leut Pläsier.

Ich wäre gern ein Hündchen,
recht puschelig und klein.
Mir scheint nichts angenehmer
als puschelig zu sein.

Ich müsste nicht drauf achten,
ob sich etwas gehört.
Ich könnte machen, was ich will,
und niemand wär empört.

Ich wäre gern ein Pferd,
so stolz und elegant.
Denn Pferde sind sehr edel,
das ist allgemein bekannt.

Ich ließe mich dressieren
im Zirkus ne Saison.
Und wenn ich alles könnte,
dann liefe ich davon.

Ich wäre gern ein Esel,
der dauernd „I-A“ schreit,
gellend laut und ungeniert –
man hört’ es weit und breit.

Doch würd mich einer fragen,
ob ich seine Braut will sein,
dann schriee ich nicht „I-A“.
Die Antwort wäre „nein“!

Ich wäre gern ein Huhn,
recht wohlgenährt und rund.
Dann würd ich lauthals gackern
in früher Morgenstund.

Die Eier würden schwarz verkauft,
so ist es nun mal Brauch.
Und käm ein Kontrolleur vorbei,
schöb ich sie untern Bauch.

Ich wäre gern ein Floh,
dann hätt ich’s wahrlich gut.
Mein Leben wäre einfach
und meine Nahrung Blut.

Die Männer da zu beißen,
wo es am meisten schmerzt,
das wäre ein Vergnügen,
und ich täte es beherzt.

Nun hab ich euch, ihr Leute,
meine Wünsche aufgezählt.
Ihr könnt nunmehr erahnen,
was mich am Menschsein quält.

Die Chance, je ein Tier zu sein,
ist leider mehr als klein.
Die größte Kunst auf Erden
ist es, ein Mensch zu sein.